Die Magie der Bergdörfer – Das Leben entlang des Annapurna Circuits

Nepal

Der Annapurna Circuit in Nepal ist einer der spektakulärsten Treks der Welt – sagt das Internet. Das ist fast noch eine Untertreibung – ich bekomme auch nach Jahren noch leuchtende Augen, wenn ich an den Himalaya zurückdenke und erzähle immer wieder von dieser Reise. Die atemberaubende Landschaft, ist ganz klar der Star dieser Wanderung, ein Höhepunkt jagt den nächsten – im wahrsten Sinne des Wortes. So wird auch viel über den Weg und die notwendigen Vorbereitungen geschrieben, aber leider selten darüber, dass diese Wanderung auch die ganz besondere Möglichkeit bietet, die Vielfalt und Schönheit der nepalesischen Kultur zu erleben.

In diesem Beitrag möchte ich das ändern und dich mitnehmen auf eine kleine Reise in das Herz und die Seele Nepals, in das Leben und die Kultur entlang des Annapurna Circuits.

Ankunft in den Bergen

Die erste Begegnung

Ich erinnere mich noch genau an das erste Dorf, in das ich kam. Es war, als wäre ich versehentlich irgendwo falsch abgebogen und in der Kulisse eines mittelalterlichen Historien- oder Fantasystreifens gelandet. Vorsichtig bewegte ich mich in meiner modernen, für dieses Set ziemlich unpassenden Trekkingkleidung vorwärts, bloß nicht auffallen… und zugleich war ich neugierig, was mich erwarten würde.

Die verwinkelten, mit alten Steinen gepflasterten Gassen führten mich tiefer in das Dorf. Die Häuser, gebaut aus Lehm oder Gestein, mit Dächern aus Schiefer oder Stroh, mit kleinen Holzfenstern und kunstvoll verzierten Balkonen, verliehen dem Dorf einen malerischen Charme. Manche von ihnen waren rosa, lila, grün, blau oder rot gestrichen. Entlang der Straßen blühten prächtige Gärten, in denen die Bewohner ihre kleinen Paradiese aus Blumen, Gemüse und Kräutern angelegt hatten. Jeder deutsche Schrebergarten würde vor Neid erblassen.

Ein paar gackernde Hühner flatterten von rechts nach links, kreuzten meinen Weg und verschwanden auch direkt wieder im nächsten Hof. Auf den flachen Dächern der Veranden oder der Speicher lagen Chilischoten, Kartoffeln, Apfel- oder Kürbisscheiben zum Trocknen in der Sonne aus.
Viele Häuser waren mit den typischen Gebetsfahnen geschmückt, die im Wind flatterten und Gebete und gute Wünsche in die Welt hinaustrugen. Von irgendwoher drangen leise Gesänge in die Gasse. In einem Hof saß eine Frau auf einer Treppe, sie trug eine lila Jacke und einen blauen Rock und ordnete ihr langes, glänzendes Haar mit einem groben Holzkamm.

Ankunft in Jagat

Die meisten Dorfbewohner waren mit ihrer täglichen Arbeit beschäftigt, sie webten, arbeiteten im Garten, im Haus, trieben das Vieh durchs Dorf auf die Felder, wuschen ihre Kleidung am Brunnen, kümmerten sich um das Essen. Frauen gingen an mir vorbei, schwere Bündel Holz oder Heu auf ihren Rücken tragend. Hunde lagen träge in der Sonne. Kinder spielten in den engen Gassen.

»Namastééé!« rief mir ein kleiner Junge zu, der plötzlich an einem Gartentor lehnte und mich neugierig musterte. »Namasté!« antwortete ich und strahlte zurück. Ein schwarz-rosa geflecktes Schweinchen stand grunzend hinter einem dürftig zusammengezimmerten Holzzaun und streckte mir seine feuchte Nase entgegen.

Dort, in den Bergdörfern tickten die Uhren ganz anders und die Entschleunigung der eigenen Person wirkte schnell. In der Stille der Berge schien die Zeit stehen geblieben zu sein und über allem thronten die gigantischen Gipfel der Annapurna. Als Europäer fühlt man sich hier schon ein wenig in dieses Leben hineingebeamt, aber alle paar Meter entfuhr mir ein kleines »Wooow!«, eine Begeisterung, die sich auf dem ganzen Weg fortsetzen sollte.

Nepalesische Frau steht auf der Veranda ihres Hauses in der Annapurna-Region

Dorfleben in Nepal

Homestay und Bollywood

Einblick in die einheimische Wohnweise

Übernachtet habe ich jeden Abend in einem der Teehäuser, die es in jedem Dorf gibt und die eine gute Übernachtungsmöglichkeit für müde Wanderer bieten. Die Zimmer sind meist einfach eingerichtet, manchmal gibt es statt Bad oder Dusche nur einen Wasserhahn im Hof, man darf also wirklich keinen europäischen Standard erwarten, aber das machte es manchmal umso spannender.

Homestays sind eine der schönsten Möglichkeiten, einen Einblick in das Leben der Einheimischen zu bekommen, da man direkt bei den Familien im Haus wohnt. Einige der Homestays, die ich erlebt habe, waren dann auch ganz besonders: 

In Upper Pisang übernachtete ich im Haus einer tibetischen drei-Generationen-Familie. Abends saßen wir am Feuer, das mit Yakdung am Brennen gehalten wurde. Auf dem Röhrenfernseher flimmerte indisches Bollywood. Wir verstanden alle kein Wort von dem, was da gesungen wurde – aber Bollywood scheint dann doch international zu sein, denn wir lachten alle gemeinsam über die selben kitschigen Szenen. Dazu gab es quietschebunte Bonbons und warmen Schokoladenpudding. Homestays haben übrigens den tollen Nebeneffekt, dass man manchmal direkt in die nächste Familie, ein oder zwei Dörfer weitergereicht wird. Kennt eben jeder jeden da oben im Himalaya.

In diesem Haus bekam ich auch zum ersten Mal auf dieser Reise einen Einblick in die echte Wohnweise der Einheimischen. In der kleinen, rauchgeschwärzten Küche wurden traditionelle Gerichte wie Momos und Dal Bhat zubereitet. Die Zutaten stammten natürlich aus dem eigenen Garten.

Badezimmer mit Huhn, Süßes zum Abend und Blick auf den Küchenherd

Gebete on the road

Om Mani Padme Hum

Morgens und abends erfüllte der Duft von Räucherstäbchen und Gebetsgesängen die Luft, während die Dorfbewohner ihren spirituellen Praktiken nachgingen. In dieser morgendlichen Welt schien die Zeit still zu stehen – geradezu selig schwebte ich so jeden Morgen durch die Dörfer in Richtung Trail. Irgendwie erfüllend, wenn Körper und Geist schon am frühen Morgen so viel Frieden und Harmonie erfahren – zumal der eigene Arbeitsweg daheim über den superstressbeladenen Berliner Alexanderplatz führt.


Auf meinem Weg aus dem Dorf heraus, passierte ich oft die langen Mani-Mauern, die sich entlang des Weges erstreckten, meist in der Dorfmitte, aber auch an den Ortsein- und -ausgängen. Sorgfältig eingemeißelte Gebete und Mantras zieren die Steine und in regelmäßigen Abständen sind Gebetsmühlen in die Mani-Mauern eingelassen. Wie in einem Museum betrachtete ich diese Steine immer wieder und fotografierte sie von allen Seiten. Jedes Mal drehte ich im Vorbeigehen die zylinderförmigen Manimühlen* mit dem buddhistischen Urmantra »Om Mani Padme Hum «. Ein leises, beruhigendes Geräusch erfüllte die Luft, und die gleichmäßige Bewegung des Rades schien die stillen Gebete und Segenswünsche freizusetzen. Klack klack klack … ganz leise, ganz wohltuend. Ein kleines spirituelles Erlebnis.

* Die Manimühlen werden entsprechend der Umlaufrichtung der Sonne um die Erde, also im Uhrzeigersinn gedreht, ähm ja… demnach von rechts angeschubst ;-).

Manimühlen, Manimauern, Räucherstäbchen, Gebetssteine

Gompas und Klöster

Dem Himmel einen Schritt näher

Weiter entlang des Pfades liegt Pisang, das auf einer Höhe von 3.200 Metern thront. Pisang besteht aus zwei Teilen: Lower Pisang und Upper Pisang. Upper Pisang besticht vor allem durch seine traditionellen Häuser und die beeindruckende Gompa  (oft auch »Kloster Pisang« genannt), die am oberen Ende des Ortes auf einem Hügel thront. Hier spürt man die spirituelle Atmosphäre und die tiefe Verbundenheit der Einheimischen und der Pilger mit ihrer Religion und Kultur. Neben den Gebeten on the road, kam ich in diesem Kloster zum ersten Mal mit der Spiritualität und der tiefen Verbundenheit der Bergbewohner mit dem Buddhismus und Hinduismus in Berührung.

Das Kloster in Upper Pisang und Buddha in Ngawal

Ich weiß nicht, ob es nur Glück war, aber als ich dort ankam, begann gerade eine Zeremonie. Also Schuhe aus (vor die Tür stellen) und rein in die Gompa.
Vorher drückte mir ein Mönch noch ein paar Kekse in die Hand, die aber nicht für einen selbst gedacht sind, sondern zum Weitergeben, an jemanden, der z.B. neben einem sitzt – oder an die Krähen, die draußen schon hungrig warten. 
Aber erst einmal saß ich über eine Stunde in diesem Kloster zwischen Einheimischen und Pilgern und lauschte den Gesängen. Dann wäre mir fast ein Fauxpas passiert: Beim Verlassen der Gompa ist darauf zu achten, dass man diese im Uhrzeigersinn verlässt. Ich stand auf, drehte mich um und wollte gehen, wurde aber von den Einheimischen freundlich mit den Händen winkend darauf hingewiesen, dass ich im Uhrzeigersinn gehen sollte. Wie der Lauf der Sonne eben. Scheint ihnen ziemlich wichtig zu sein, also macht man das doch gerne. Hui. Uppsi. Shine and Smile. Ging also noch mal gut. 

Übrigens, vom Vorplatz der Gompa hat man einen tollen Blick auf Lower Pisang und Annapurna II. Sag ja, es lohnt sich.

Die oft jahrhundertealten Feste und Rituale werden mit großer Hingabe gepflegt. Eines der bekanntesten Feste ist das Tihar-Fest, auch Lichterfest genannt, bei dem die Häuser mit Blumen und Öllampen geschmückt werden, um die Göttin des Wohlstands, Laxmi, willkommen zu heißen. Ein besonderer Höhepunkt des Festes ist der Kukur Tihar, der Tag, an dem Hunde geehrt und ihnen für ihre Treue und Freundschaft gedankt wird. Die Hunde werden mit Blumenketten geschmückt und erhalten besondere Leckereien als Zeichen des Respekts und der Dankbarkeit der Menschen. Ich hatte das große Glück, dieses Fest miterleben zu dürfen und fand es wirklich sehr herzlich, wie jeder Hund freundlich begrüßt, ein wenig gedrückt und mit Hundekeksen beschenkt wurde, bis die Hunde vor Erschöpfung und lauter Liebe einschliefen.

Bild 3: Hundi geht es gut. Er ist nur erschöpft von all den Keksen, Knuddelein und Bemalungen. Die Blumenkette um seinen Hals ist auch schon etwas vertrocknet.

Das Herz des Annapurna Circuits

City-Life in Manang

Manang liegt auf 3.540m und ist eines der bekanntesten und größten Dörfer auf der Annapurna-Runde. Es dient oft als Akklimatisationsort für Trekker, die sich auf den Aufstieg über den Thorong La Pass vorbereiten. In Manang ist allerhand los, es ist ein lebhaftes Dorf mit zahlreichen Teehäusern, Bäckereien und kleinen Läden. Sogar ein Kino gibt es, in dem abwechselnd »Into Thin Air« und »Sieben Jahre in Tibet« gezeigt werden. Besonders beeindruckend ist das lokale Museum, das einen faszinierenden Einblick in die Kultur und Geschichte der Region gibt. Gegen eine Spende bietet der dort lebende Mönch auch eine kleine Führung an.


Wer es etwas ruhiger angehen lassen möchte, kann auch den ganzen Tag auf dem Marktplatz in der Ortsmitte sitzen und dem Dorfleben zuschauen. Es gibt immer etwas zu sehen. :-)

In Manang sind auch diese Bilder entstanden:

Blick nach Manang Annapurna Circuit

Kino, Dorfkern, Gesundheitszentrum und Museum in Manang

Ein versteckter Juwel

Ein Schritt nach Mustang

Ich empfehle dringend, die Tage nach der Passüberquerung mit einer kleinen Wanderung nach Tiri zu verlängern. Tiri liegt nur etwa zwei Kilometer nördlich von Kagbeni und damit etwas abseits des Hauptweges des Annapurna Circuits. Jahrelang war Tiri für Touristen nicht zugänglich, da es im Mustang liegt und man für dort eine Sondergenehmigung benötigt. Mittlerweile kann man Tiri aber ohne Sondergenehmigung besuchen und ich kann euch sagen, dass sich die Kinder dort sehr über die Malbücher und Buntstifte gefreut haben, die ich den ganzen Weg mit mir herumgeschleppt habe. 
Der Weg nach Tiri wurde kurzzeitig etwas abenteuerlich, als ich die provisorischste Hängebrücke des gesamten Annapurna Circuits überqueren musste. … aber na ja, hab’s überlebt. Mittlerweile wurde die bestimmt ausgebessert. ;-)

Man beachte den Holzpfahl…Nepalese construction at its best. Blick in den Mustang und Tiri in Sicht.

Auf dem Weg dorthin überholte mich noch eine Gruppe junger Mönche, alle passend zu ihrer Kutte in rote Puffies gekleidet – und dann war ich endlich in Tiri. Tiri ist ein sehr, seeehr ursprünglicher Ort (so war es jedenfalls 2018) und es herrschte eine ruhige und friedliche Atmosphäre. Jemand schenkte mir direkt ein paar Äpfel, andere haben mich neugierig angeschaut. Ich glaube, in Tiri sieht man nicht allzu oft Touristen.
 Man könnte noch weiter bis zur Klosterschule gehen, aber ich hatte an diesem Tag keine Kraft mehr, die zwei Kilometer nach Tiri waren schon zu viel. Ich war noch müde von der Passüberquerung…

Mönche und Dorfbewohner in Tiri

…außerdem musste ich ja noch zurück… über diese schreckliche Brücke. ;-)

Mini-Fazit

Leben im Einklang mit der Natur

Die Bergdörfer entlang des Annapurna Circuit haben mich nachhaltig beeindruckt. Das Leben in dieser Region ist einfach und doch voller Tradition und Lebendigkeit. Besonders fasziniert hat mich die Ausstrahlung der Menschen: Trotz der Herausforderungen und körperlichen Anstrengungen, die das Leben im Himalaya mit sich bringt, wirken sie erfüllt und von einer inneren Ruhe geprägt, die in der modernen, hektischen Welt oft verloren geht.

Ein Besuch dieser Dörfer ist mehr als eine Wanderung durch die beeindruckende Landschaft des Himalaya. Er eröffnet Einblicke in eine tief verwurzelte Kultur, deren Menschen durch ihre Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft beeindrucken. Gleichzeitig laden sie dazu ein, die Bedeutung von Gemeinschaft und Tradition in einer sich ständig wandelnden Welt neu zu entdecken.

Ich könnte hier noch hunderte Fotos zeigen, aber vielleicht habe ich dir ja jetzt schon Lust gemacht, die Annapurna-Region selbst einmal zu entdecken. :-)

Tradition, Ruhe und Einfachheit im Himalaya

Lust weiterzulesen?

Du möchtest mehr über Nepal wissen und wie du dich optimal vorbereiten kannst?

Die Geschichte der Überquerung des Thorong la Pass erzähle ich hier.
Tipps für eine Wanderung auf dem Annapurna Circuit gebe ich in meinem Artikel »Das erste Mal auf 5.000 Meter Höhe.«
In dieser Packliste, findest du alles was auf den Annapurna Circuit mit muss und was zu Hause bleiben kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht! Erforderliche Felder sind mit * markiert.

MEHR ABENTEUER