ANNAPURNA CIRCUIT – DER WEG NACH CHAME
Kurzgeschichte mit Lieblingsbild
Heute zeige ich euch ein Lieblingsbild meiner Wanderung in der Annapurna-Region. Zugegeben, einen Pokal werd ich mit diesem Foto nicht gewinnen, dennoch ist dieses Bild etwas sehr besonderes für mich und ich möchte euch erzählen wieso:
Es war der vierte Tag meiner Wanderung. Ich hatte Bagarcchap hinter mich gelassen und war zurück auf dem Trail. Recht bald führte ein steil nach oben laufender Pfad durch dichte Rhododendron-, Kiefer- und Bambuswälder. Da hier in den Baumkronen Languren-Affen wohnen sollen, freute ich mich bereits auf diese Etappe, vielleicht werde ich ja das eine oder andere Äffchen zu Gesicht bekommen.
TRAILSTECKBRIEF
ANNAPURNA CIRCUIT #ETAPPE IV
Start – Ziel: Bagarcchap (2115m) – Chame (2670m)
Länge: circa 14 Km
Gesamtaufstieg/-abstieg: 850m / 300m
Einkehr: Ich empfehle dringend Mittagspause bei Momos und kalter Limo auf einer der Dachterrassen in Timang
Wenn ich die schwierigsten Tage des gesamten Annapurna-Circuits benennen sollte, wäre dieser auf jeden Fall ganz oben dabei. Bereits nach wenigen Kilometern war ich am Ende meiner Kräfte, Füße schwer wie Blei, meine Beine zitterten, ich hatte keine Kraft mehr – und das schon nach nur so kurzer Zeit auf dem Trail. (Kleine Anmerkung und Ausrede dazu: Irgendwo in den ersten Tagen in Nepal hatte ich mir die schlimmste Erkältung meines Lebens eingefangen, die alles direkt mal doppelt so anstrengend machte. Übrigens wird empfohlen mit Erkältung keine Höhenwanderungen zu unternehmen. »Himalayahusten« nannte es später, zurück in der Heimat, eine Freundin – die Erkältung hielt dann nämlich auch direkt mal fünf Wochen an.)
Während ich mich fast drei Stunden lang unzählige, teils kniehohe Stufen nach oben quälte, zweifelte ich mit jedem Höhenmeter immer mehr an meinem jüngsten Wanderprojekt, dem ich doch eigentlich monatelang euphorisch entgegengefiebert hatte.
»Eine Nummer zu groß für mich!« und »Es hat keinen Sinn!« machten sich in meinen Gedanken breit. Ich berechnete im Kopf die nächsten Etappen, mögliche Abkürzungen, zurückgelegte Kilometer, fand aber keine Lösung – kramte dann in meinen weiteren Sorgen nach Alternativen und allmählich dachte ich still und heimlich übers »Aufgeben« nach. Auf-ge-ben. Tzzzz. Ich war frustriert!
AUFGEBEN
Nach vielen weiteren Stufen, Steintreppen und Steigungen, erreichte ich keuchend eine Anhöhe, als der Wald sich plötzlich zu lichten schien. Wo ich dann schon mal hier oben war, wollte ich eben noch kurz schauen, was denn da hinter der nächsten Kurve ist, bevor ich wohl werd‘ überlegen müssen, wie ich nach Hause komme – denn wieder absteigen, würde ich ja auch nicht mehr schaffen. Vielleicht vom Berg stürzen. Mal sehen.
Mit dem Frustrationspegel auf Maximum schlich ich, die Wanderstöcke hinter mir her schleifend, über das etwa 2400 Meter hohe Plateau, schwitzend und immer noch nach Luft ringend. Während ich versuchte mich wieder einzukriegen, hörte ich ein Affengeschrei aus dem Wald hinter mir, aber der Affe der sich da im Dickicht über mich lustig zu machen schien, war dann plötzlich ziemlich nebensächlich, denn was ich sah als ich aufschaute, haute mich aus den glühenden Wanderschuhen:
WOW!!!
Ich hatte einen freien 360-Grad-Panoramablick auf eine unfassbar weite und beeindruckende Landschaft. Sie war vor, neben und über mir. Es war gigantisch! Ich war eingekesselt von einigen der höchsten Bergen der Welt. Es wirkte, als lehnten diese Riesen sich extra noch mal auf um ein bisschen anzugeben – oder mir zu drohen, ich war mir nicht sicher. »Da merkt man erst mal wie klein…« Ja ja, mich langweilt dieser Spruch auch, aber ja, dort stehend, umringt von diesen schnee- und eisbedeckten Berggiganten, verstand auch ich, wie miniwinzigklein wir sind. Dieser Anblick war wunderschön, überwältigend und furchterregend zugleich. Dimensionen die man nicht begreifen kann. So gewaltige Berge, als habe hier jemand versehentlich den Zoom gedrückt.
Mir wurde direkt ein wenig schwindelig. Ich war so erschöpft und doch hüpfte mein Herz im Euphorietakt und jubelte vor lauter Glück. Vorsichtig tippelte ich bis an die Böschung und knipste DAS FOTO:
Lieblingsbild
Kleine Ergänzung: Es war mir mit meiner kleinen Knipse unmöglich die wahre Dimension dieses Anblicks festzuhalten… nicht nur weil die grelle Mittagssonne voll Pulle auf mich herabschien. Vor mir liegt ein dichter, unendlich scheinender Wald. Ich selbst befinde mich auf circa 2400 Metern Höhe und weitere 5000 Höhenmeter trennen mich noch von den Gipfeln die da gaaaanz ganz hinten aus dem Wald ragen. Irgendwie surreal. Glaubt mir oder geht hin und überzeugt euch! ;-)
BACK ON TRACK
Der Annapurna-Circuit hatte mich wieder! Beflügelt von diesem Moment wollte ich ja noch schauen was da hinter der nächsten Kurve kommt… und der Rest der heutigen Etappe bis Chame war dann auch gar nicht mehr so schwierig.
Bis zum letzten Tag auf dem Annapurna Circuit waren es dann noch so einige Kurven, Kehren und Steigungen, und hinter jeder verbarg sich ein neues, einzigartiges Nepal. Hinter jedem anstrengenden Aufstieg, nach jeder wackeligen Hängebrücke, nach jeder staubigen Piste und nach jedem noch so steilen Geröllpfad, wurde ich aufs Neue überrascht.
Wenn ich heute dieses Lieblingsbild betrachte, versetzt es mich in genau den Moment wieder zurück – es erinnert mich daran, dass selbst der schwierigste Weg belohnt wird, und jede Anstrengung sich auszahlt. Zudem scheint es nun mal ungeschriebenes Gesetz, dass die schönsten Orte dieser Welt jene sind, die wir nur zu Fuß und mit sehr viel Blut, Schweiss, Tränen und Verfluchungen erreichen können. Ich bin sehr glücklich an diesem Tag nicht umgekehrt zu sein.
Hier noch einige weitere Knipserein von der Etappe bis nach Chame
HOW TO SURVIVE
ANSTRENGUNG
Ja, ihr habt mich erwischt. Mit »Aufgeben« tu ich mich generell schwer. Mentale Stärke liegt mir, körperliche eher nicht so. Mit meinem kleinen obigen Bericht möchte ich aber nicht dazu ermutigen, dumme Dinge zu tun. Man sollte wissen, wann es Zeit ist umzukehren und die Wanderung auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben. Niemand spricht hier von auf-ge-ben. ;-)
Was ich dann noch alles in Nepal auf dem Annapurna-Circuit erlebt habe, lest ihr hier:
Meine Akklimatisierungstour zum Icelake ➜ INTO THIN AIR
Der Tag der Passüberquerung ➜ IM RAUSCH DER GIPFEL
Anflug ins Ungewisse ➜ NEPALI FLAT. LITTLE BIT UP. LITTLE BIT DOWN.