ANNAPURNA CIRCUIT – NEPAL
TOUR ZUM ICE LAKE
AUF DER SUCHE NACH DEM HEILIGEN SEE
Wir waren am Abend zuvor in Manang angekommen und es war Akklimatisierungstag. »Oh, juhu, endlich mal erholen«, so der hoffnungsvolle Kommentar meiner Wanderpartnerin Serap dazu, und ich lachte mir schon still ins kalte Fäustchen. Akklimatisierungstag in den nepalesischen Bergen hieß nämlich: Warmlaufen für die bevorstehende Königsetappe, für den bitteren Ernstfall, den Tag aller Himalayatage, höher steigen als jemals zuvor, und wieder auf Ausgangshöhe schlafen. Das sei gut für das Gehirn welches sich mit der zunehmenden Höhe ausweite. A u s w e i t e ? Junge, Junge, die Aussicht darauf, nach der Tour schlau wie nie zuvor nach Manang zurückzukehren, versetzte mich zunehmend in Verzückung.
TRAILSTECKBRIEF
ANNAPURNA CIRCUIT #ICE LAKE
Start/Ziel: Manang/Manang (auf 3519 Hm gelegen)
Länge/Gesamtaufstieg: 18 Km hin- und zurück gesamt ; 1101 Hm Auf- und wieder Abstieg
Höchster Punkt: 4620 Hm (Ice Lake)
Dauer: Tagesausflug / 7-10 Stunden
Zweck: Akklimatisierungs-/ Höhenanpassungstour auf dem Annapurna-Circuit
Einkehr: Tea-/Coffee-House auf circa 4250 Hm
VOM STREBEN NACH WEISHEIT
Da es bis zum heutigen Tagesziel ja nur neun Kilometer sind wollten wir es gemütlich angehen. Easy – und so klingelte der Wecker das erste Mal seit Beginn der Annapurna-Umrundung auch erst gegen 8:00 Uhr. Nach einem ausführlichen Frühstück schlenderten wir bei klarer Morgenluft und strahlend blauem Himmel durch das Tor von Manang. Für abends hatten wir »Into Thin Air: Death On Everest« im höchsten Kino der Welt geplant, bei Popcorn und kühler Limo, happy hiker life.

Nachdem wir Manang hinter uns gelassen hatten, wanderten wir ein Stück entlang des Annapurna Circuit zurück, vorbei an einigen grasenden Yakkühen und ihren Babies, durch den wie aus einer anderen Welt entsprungenem Ort namens Braga, verließen dann den Annapurna Circuit und folgten einer kleinen Abzweigung weiter hinauf in die Berge.

JUST AROUND THE CORNER
Geschlagene vier Stunden, also glanzlose eineinhalb Kilometer pro Stunde, mühten wir uns dann eine stetig steigende, nicht enden wollende Geröll- und Schotterpiste hinauf. Längst hatten uns alle anderen, selbst nach Weisheit strebenden Wanderer in weite Ferne gelassen, und so dachte ich zwangsläufig mehrfach über den Sinn dieser Tour nach und auch an die vermutlich quälend lange Rückkehr nach Manang. Zurück musste man ja auch noch – irgendwie. Aber wir wollten durchhalten, denn den Erzählungen nach, wartete oben auf 4.620 Metern Höhe ein wundervoll grün-blau-türkis-smaragd-silberglänzender See auf uns, der Ice Lake, oder auch Kicho Lake genannt, ein heiliger See mitten in den Bergen, dazu noch einer der höchsten der Welt. Ewige Jugend, Glück und Seligkeit gibt es dort oben vermutlich noch dazu. Zu irgendwas musste diese unmenschliche Anstrengung ja gut sein.
Auf halber Strecke befindet sich eine kleine Alm mit einem ebenfalls kleinen, einsam gelegenen Tea- und Coffeeshop, in dem wir uns kurz aufwärmten. Dort trafen wir zwei Einheimische, die uns beteuerten, dass es nun wirklich nicht mehr weit sei, »Just around the corner!«. Klang gut, die müssen es ja wissen.
Mittagspause auf der Alm
Mit neuer Motivation und Schokoriegel im Magen, starteten wir nach unserer kleinen Verschnaufpause dann so richtig durch… oder auch nicht:
Der Weg führte über ein weites Plateau vorbei an einigen alten Hirtenhütten, und zog sich dann noch quälend lange die ein oder andere Kurve am steilen Berghang stetig nach oben, und eine weitere Kurve und noch eine … wie es halt immer so ist, wenn es heißt »Just around the corner – have fun!«. Die internationale Übersetzung hierfür lautet wohl »Es ist wirklich noch verdammt weit und ihr werdet jede Sekunde bis dorthin verfluchen.«
Kurz bevor die Lunge wegen der dünnen Bergluft dann ganz streikt, steht man endlich vor einem kleinen See, das ist aber erst der –Little Ice Lake–. Zum eigentlichen –Big Ice Lake– ist es nun wirklich nicht mehr weit , ich schwöre! Just around the verfluchte corner, ehrlich!
ANKUNFT
Was wir dann nach all den Stunden der Anstrengung oben vorfanden: eine trüb grüne Pfütze größeren Ausmaßes, in der sich der triste, farblose Himmel spiegelte, mittelmäßig günstig platziert vor einer dichten, grauen Nebelwand.
Immerhin hat man einen echt spektakulären Blick auf den gigantischen Annapurna III (7.555m) und dem ebenso gigantischen Gangapurna (7.544m) und seinem fetten Gletscher, übrigens der 42. und 57. höchste Berg der Welt, und eigentlich »die«, denn Ganga und Annapurna sind Namen von Göttinnen. Ihr merkt, weise wie nie zuvor hier die Rebecca.


Meine Begeisterung hielt sich sichtlich in Grenzen.
#enjoythelittlethings #superbrain #justaroundthecorner
SUPERBRAIN IS COMING HOME
Während unseres dreistündigen Abstiegs überholten uns drei Hippie-Hunde die alle gleich aussahen, zwei rennende 580 Kilo-Yaks und ein kleines Pferd, das wohl alleine auf seinem Abendtrott nach Hause war. Alle hatten sie offensichtlich Bedenken, dass wir es nicht vor Einbruch der Dunkelheit vom Berg runter schaffen würden. Großartig.
Immerhin fühlten wir uns ein klein wenig schlauer, waren wir ja auch um eine Erfahrung reicher geworden. Unser Highlight des Tages allerdings, fanden wir dann, welch Überraschung – zurück am Ortseingang von Manang: Schokotorte und Milchkaffee, mitten in den Himalayas! Dafür waren wir mit Pause neun Stunden unterwegs gewesen. Wir sind total aus dem Häuschen! Ich nehme von allem zwei und decke mich direkt noch für die bevorstehende Passüberquerung mit Kokos-Hafer-Cookies und getrockneten Apfelscheiben mit Zimt ein.
Danach sind wir so erledigt, dass wir direkt auf unsere harten Pritsche im Guesthouse fallen und in einen typischen, unruhigen 3500mh-Schlaf fallen… Into thin air.
Endlich wieder zurück! Endlich Schokokuchen!
HOW TO SURVIVE
AKKLIMATISIERUNGS-TOUR ZUM ICE LAKE
Rückblickend würde ich diese Tour unter folgenden Bedingungen empfehlen:
- Ihr seid fit. Punkt. Damit meine ich, dass ihr nicht bereits bei Ankunft in Manang total ausgelaugt seid und auf dem letzten Loch pfeift. Eine Wanderung zum Ice Lake ist aufgrund der 1000 Meter Höhenunterschied eine harte Herausforderung für die man noch genügend Kraftreserven haben sollte.
Allein für den Aufstieg ab Braga braucht man je Fitnesslevel zwischen 3-4 Stunden. Ja, ja, im very world-wide-web äußern sich auch diverse Gorillamännchen und -weibchen die ohne Luft zu holen in zwei Stunden oben gewesen sein wollen. Der Durchschnittsmensch benötigt aber etwas mehr Zeit – unsere Wenigkeit kaum erwähnenswerte 4,5 Stunden. Röchel. Grundlegend braucht man für die knapp 9 Kilometer bis zum See länger als man vermuten mag. Immerhin ist man aber auch auf gut 4000 Metern Höhe und die Wanderung ist eine harte Herausforderung. Im Trail-Streckbrief habe ich als maximale Dauer 10 Stunden angegeben, das mag etwas übertrieben wirken, aber mit kleiner Teepause, Fotos knipsen und bestenfalls See bestaunen, kommt man recht schnell auf diese Stundenzahl.
- Das Wetter spielt mit. Bei Regen oder Schnee ist die Tour auf keinen Fall empfehlenswert. Erkundigt euch am besten in eurer Unterkunft nach der Wetterprognose für diesen Tag.
Was aus dem grün-blau-türkis-smaragd-silberglänzender See vermutlich eine trüb grüne Pfütze gemacht hatte, ist der Umstand, dass vieles im Hochgebirge von Wind und Wetter abhängig ist, man kann quasi die Uhr danach stellen. Gegen 14:30 Uhr See kamen wir am See an, was leider zu spät war um diesen in seinen prächtigsten Farben leuchten und die Spiegelung der Berge auf der Wasseroberfläche bestaunen zu können. Die Sonne war schon hinter einem der 7000er abgetaucht und dichte Wolken zogen auf. Eventuell könnte DAS der echt heiße Tipp für eine gelingende Tour zum heiligen See sein und Schlaubis können sich da jetzt eventuell Sonnenstand zu jeder Jahres- und Uhrzeit und all dieses Zeugs ausrechnen – oder man geht einfach vorsichtshalber rechtzeitig los.
- Sollte einer der beiden genannten Bedingungen nun aber nicht zutreffen, hat man eigentlich nur eine Möglichkeit diese zu erschaffen: Man wartet. …bis man wieder fit ist und bis das Wetter besser wird. Aber zum Glück residiert man derzeit ja in Manang und kann all die Annehmlichkeiten dieses Ortes genießen: Kuchen futtern, Kaffee trinken, auf einem der öffentlichen Plätze sitzen und dem Treiben zusehen, durch das Dorf schlendern, ins Kino gehen, Ziegen streicheln, Besorgungen machen, Lasagne essen. Am zweiten Tag, wenn man dann wieder zu Kräften gekommen und das Wetter freundlicher ist, kann man zu dieser äußerst sinnvollen, aber eben auch anstrengenden Akklimatisierungstour zum Ice Lake aufbrechen.
Ohnehin könnte man bei der Planung des Annapurna Circuits direkt im Vorfeld überlegen, zwei Nächte in Manang zu verbringen. Der Ort ermöglicht eine hervorragende Anpassung an die Höhe und langweilig wird es dort auch nicht.