Liquid Sunshine
Ich möchte mit euch über Wetter reden. Speziell über Regen.
Sprühregen, Nieselregen, Starkregen, Frontregen, Dauerregen, Platzregen, Eisregen. Alle Arten von Niederschlag und Liquid Sunshine erfuhr ich auf meiner 10-tägigen Wanderung durch die schottischen Lowlands und Highlands. Überschwemmungen, Schlammlawinen, weggespülte Brücken, immer-nasse-Füße. Um nur einige der daraus resultierten Problemchen zu benennen.
Wandern auf dem We(s)t Highland Way
Ein Abenteuer voller Sintflut und Sinnflut
Dem Wissen ungeachtet, dass Oktober einer der niederschlagsreichsten Monate in Schottland ist, ließ ich Regenhose und den meist eh lästigen Regenponcho zu Hause – wird schon nicht so schlimm werden, dachte ich mir. Der Outdoorstore, den ich dann nach gut 90 sintflutartigen Kilometern in Tyndrum entdeckte, glich einer Oase für begossene Pudel und arme Würstchen, wie ich eines war. Als ich die Verkäuferin dort nach einem Regenkilt fragte, erntete ich allerdings nur ein müdes Lächeln. Meine Frage danach war… aber, aber,… die war doch ernst gemeint :-(. So griff ich dann doch nur nach einer der Regenhosen im Regal und wurde mit einem »But please take off your muddy, wet boots!« von der stirnrunzelnden Verkäuferin zurechtgewiesen. Hätte ich für einen Regenkilt nicht gemusst, aber bitte.
Die Regenhose war eine gute Handbreite zu kurz, doch besser als nichts. Für läppische 22 Pfund konnte ich die Plastiktüte mit zwei Beinen nun mein Eigen nennen, und schaffte es die weiteren 80 Kilometer ein wenig trockener über die Highlands.
Kalter Seitenregen serviert mit schlammigem Pfad
Sintflut
Was den Regen betraf, erwies sich meine deutsche Wetter-App als die zuverlässigste und somit beliebteste unter allen anderen internationalen Apps. »Precise German weather application«. Und so entstanden im Hostel frühmorgens kuriose Szenen:
»Okay Leute, in neun Minuten stoppt der Regen und dann haben wir ein Fenster von 43 Minuten – vielleicht schaffen wir es über den Berg!« – woraufhin das Chaos ausbrach. Zehen wurden mit Tape und Pflastern versorgt, es wurde gecremt und gepudert was die Dose hergab. Socken wurden noch mal schnell durch den Trockner geschleudert (lang leben alle Trockner auf dem West Highland Way!) und letztendlich gar Plastiktüten, zum Schutz gegen Nässe, über die Füße gezogen. Schuhe festgeschnürt, Rucksäcke aufgesattelt – kampfbereit, und zack weg waren wir nach neun… nun ja, 23 Minuten und klack klack klack, hauten in die Hufen und Trekkingstöcke, zielsicher dem Unwetter entgegen.
Wetter allgemein
Das Wetter war DAS Thema auf dem Trail. Immer und ständig. Jeder hatte irgendeine spannende Wetterstory auf Lager. Das ging von Orkan auf Conic Hill, über Schlammlawinen und Erdrutsche am Loch Lomond, weiter zu davongeflogenen Zelten, zu weggespülten Brücken und bis hin zu Erzählungen, wie es sich so anfühlt, morgens im seichten Wasser schwimmend, auf seiner Schlafmatte aufzuwachen. Nun ja,… aber wir überlebten. Luckily.
Nass
Eines Abends, ich saß mit einem anderen Wanderer bei Tee und Tütensuppe in der Gemeinschaftsküche des Hostels. Draußen tobte ein schlimmer Sturm, so dass man kaum sein eigenes Wort verstand. Plötzlich wurde die Hintertür der Küche mit einem lauten Knall aufgestoßen. Zwei pitschnasse, in schwarzen, langen Regenmänteln gekleidete, bärtige Männer standen in der Tür. Mit ihren Zelten und Schwimm- äh Isomatten unterm Arm flehten sie, reinkommen zu dürfen. Hinter ihnen der Weltuntergang.
Ich musste bei dem Anblick ein wenig schmunzeln. Sogar die hartgesottenen, schottischen Highlander trieb es also nach Drinnen. Da sie eigentlich nicht hier sein durften, gibt es von mir auch keine weiteren Infos und Fotos zu diesem Abend. Das Hostel bleibt geheim. Während ich mich weiter unterhielt, wurde im Zeitraffer ein halber Campingplatz um uns herum aufgebaut, und ehe ich mich versah, saß ich zwischen tropfenden Regenmänteln und einer aufgespannten Wäscheleine. Zwei Zelte hingen in all ihrer nassen Pracht vor mir, Isomatten waren gegen die Wand gelehnt und der Campingkocher aufgestellt, in dem bereits das Abendessen brutzelte. Während ich den Jungs, heimlich über die Gänge schleichend, ihre nassen Socken und T-Shirts in den Trockner (lang lebe der Trockner!) stecken ging, kochten sie mir ein deftiges Tikka-Masala-Curry. Hmmm! Trailgemeinschaft. Ich liebe es.
Sinnflut
Ich glaube, es passierte ein, zwei, vielleicht auch drei Mal, dass ich fluchend in irgendeinem Sturm stand, mit eiskalten Händen (ja, denn die wasserabweisenden Handschuhe hatte ich natürlich auch zu Hause gelassen) und pitschnassen Füßen. Ich sah so gut wie gar nichts, weil mir der fiese Regen ins Gesicht peitschte. In diesen Momenten wünscht man sich nichts sehnlicher als anzukommen, egal wo, aber natürlich befindet man sich gerade auf einem dieser endlosen Passagen, die sich wie Kaugummi durch das ewig lange Tal ziehen. Urlaub halt. Diese Momente voller Verfluchungen sind aber so schnell vergessen, wenn man ganz simpel nur –hinschaut– und wahrnimmt, in was für unglaublicher Landschaft man da eigentlich steht!
Regenbogen in den Highlands, Augenringe aus der Hostelhölle, aber happy! Sehr.
Und auch Wochen später, schon längst zurück zu Hause, unterhielten wir uns noch über das schottische Wetter. Alle waren wir uns einig, dass Regen zwar nass sei, aber der West Highland Way bei Sonnenschein nicht der selbe gewesen wäre. Die überfluteten Wege, die immer feuchten Klamotten, das gemeinsame Auf-Regenpausen-und-Sonnenfenster-Warten, das immer nach Lösungen und Umwegen suchen, hat die Wanderung erst zu ihrem spannenden Abenteuer gemacht. Wir konnten uns eigentlich nicht vorstellen, den Trail bei strahlendem Sonnenschein und Trockenheit zu laufen. Wie langweilig. ;-) Liebevoll nannten wir ihn daher »The very Wet-Highland-Way«.
Der Regen war DAS Ding und hat uns zu einer sich unterstützenden Community gemacht, die jeden Morgen in den Regen-Kampf zog. Darüber werden wir auch in 10 Jahren noch reden. Es war gut wie es war.
Die Momente zwischen dem Regen
Zudem kann ich ab sofort bei jeder Planung sagen: »Okay, es wird vermutlich regnen, … aber schlimmer als daaamals in Schottland, auf dem West Highland Way, wird es auf keinen Fall. Auf geht’s!«
So, nun haben wir über Wetter geredet. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Einstellung. ;-)

Lang leben die Trockenräume und Vorsichtig-Rutschig-Weil-Nass-Schilder!
Hast du noch Fragen zum West Highland Way? Schreib es mir gerne in die Kommentare unten. Ich freue mich von dir zu lesen.
Du möchtest mehr über den nassesten, aber schönsten Weitwanderweg Schottlands lesen?
Hier gebe ich einige Einblicke in mein Trailtagebuch, erzähle über Etappen, Snacks und Liquid Sunshine:
➤ Zu den ersten Etappen von Milngavie bis Tyndrum geht es hier.
➤ Zu den weiteren Etappen von Tyndrum bis Fort William geht es hier.
➤ In meinem Blog-Beitrag „Der West Highland Way-Tipps vom Profi“ gebe ich Empfehlungen zu den Etappen, Snacks und Ausrüstung.
➤ Übrigens war ich 2019 schon mal im schottischen Hochland, darüber lest ihr in meinem Artikel „I want moor – Schottlandbericht“.